VERFLECHTUNGEN

eine Ausstellung im Kiosk vor dem Rechenzentrum in Potsdam

In Reih und Glied hängen 36 mit schwarzem Taftband umwickelte Zöpfe vor einem Beffchen. An Wäscheleinen. Aufgeknüpft mit Wäscheklammern.

Am 1.April 2024 wurde die Kapelle im neu errichteten Garnisonkirchturm in Potsdam eingeweiht. Am Ostermontag, an dem die Christen Auferstehung feiern.

Der Lernort Garnisonkirche im Rechenzentrum und die Martin-Niemöller-Stiftung setzen sich dafür ein, dass die Geschichte des Ortes Garnisonkirche vollständig erzählt wird und auch der schmerzhafte Missbrauch dieses Gotteshauses in der Zeit des Nationalsozialismus nicht ausgespart wird.

Zu diesem Anlass wurde die Installation „Verflechtungen“ von Annette Paul als Entgegnung geschaffen. Das Werk setzt sich dafür ein, zu überdenken, von welchen alten Zöpfen man sich bewusst trennen muss, um sichtbare Zeichen der Abkehr zu setzen. Die Installation ist gleichzeitig Mahnung, wieviele Opfer Krieg fordert, wie wenig ein einzelnes Leben zählt, wie Soldaten zu Tausenden losmarschierten in den eigenen Tod, ins Blutvergießen, ins Töten und ins Sterben. Und mit welchem Enthusiasmuss, in welcher Siegesgewissheit sie vom Blutaltar mit dem Segen Gottes gesendet wurden.

DER BLUTALTAR

Mitten in der Kapelle des Turms wird nun wieder der Altar für Gottesdienste, Gebete und Abendmahl genutzt, den wir den Blutaltar nennen, weil er eine unrühmliche Geschichte hat. In den Tod, ins Blutvergießen wurden Soldaten von hier im Namen Gottes entsendet. An ihm wurden Fahnen geweiht, unter anderem der NSDAP und der Hitlerjugend.

In der Installation im Kiosk werden jene geweihten Fahnen in Schmutzlappen übersetzt, welche nicht mehr sauber zu bekommen sind.

FELDALTAR FÜR DAS FELD DER EHRE

Der Altar der Garnisonkirche wurde wie damals durchaus üblich unter anderem als Feldaltar im Lustgarten vor dem Marstall genutzt. An ihm wurden Tausende Soldaten gesegnet, um siegreich zurückzukehren. Siegen mit Gottes Segen?

Gehört dieses liturgische Element nicht eher ins Museum mit entsprechender Kontextualisierung als weiterhin in den Gebrauch im Gottesdienst?

SICHTBARE ABKEHR FEHLT BEI DER TURMREPLIK

Gerade dann, wenn man rekonstruiert, ist es unerlässlich, sich permanent die Frage zu stellen, was genau man wieder entstehen lässt, welche Bilder man nachschafft, welche Wirkungen sie erzeugen und welche unterschiedliche Deutungen sie erfahren werden. Die Deutungshoheit hat man nicht, auch wenn etwas in bester Absicht geschieht. Es tut dringend Not, sich an dieser Stelle von historischen Traditionen bewusst abzukehren und genau das sichtbar zu machen.

ALTE ZÖPFE ABSCHNEIDEN

Die Redewendung, alte Zöpfe abzuschneiden, und damit mit vergangenen Traditionen bewusst zu brechen geht tatsächlich auf die Soldatenzöpfe Preussens zurück. Sie gehörten, mit schwarzem Taftband umwickelt, zur Uniform der Soldaten. 56 cm lang durften sie nur sein, die Wicklung schützte das Haar vor Kriegsgerätschaften und wurde bald zum Vorbild in Heeren anderer Länder. Dort wurden sie allerdings auch früher wieder abgeschafft, um dem Kurzhaarschnitt Platz zu machen. in Preussen passierte das erst 1807, ebenfalls mit einer neuen Verordnung. Mit den alten, militärischen Traditionen brach man jedoch nicht.

PREDIGTEN AM BLUTALTAR

Die Predigten, die am Blutaltar gehalten wurden, eröffnen ein schreckliches Bild des Missbrauchs des Gotteshauses und der Gottesdienste. Wir distanzieren uns ausdrücklich davon, halten es jedoch für notwendig, darum diese Geschichte schonungslos ins Gedächtnis zu rufen.

Einige Ausschnitte aus Predigten in der Garnisonkirche können Sie am Kiosk hören, in welchem die Installation „Verflechtungen“ zu sehen ist.